GROSSEN-BUSECK (red). Die Geburtsstunde des Gesangvereins Germania war durchaus nationalen Gefühlen geschuldet, entstand er doch 1863 aus einer Gedächtnisfeier anlässlich der Völkerschlacht bei Leipzig. 50 sangesfreudige Männer wagten es und wählten den damaligen Gutspächter Rudolph Güngerich zu ihrem Vorsitzenden. Schon ein Jahr später wurde die erste Vereinsfahne eingeweiht. Das 150-jährige Bestehen wird am Wochenende 15. und 16. Juni mit einem Festabend, einem Festgottesdienst und einem Frühschoppen begangen. Als Jubiläumsmotto wurde „Freude am Singen seit 150 Jahren“ ausgewählt.
Vereine machen Zeitung
Als erster Chorleiter fungierte ein Lehrer namens Biedenkapp. Die Tätigkeit des Vereins bestand – dies hat sich bis heute kaum verändert – aus gesanglichen Darbietungen bei frohen und traurigen Anlässen, bei Veranstaltungen und Gottesdiensten und in gelegentlichen Besuchen von Sängerfesten. Häufige Dirigentenwechsel durch öfter versetzte Militärmusiker oder Lehrer prägten die ersten 30 Jahre des Vereins. Als die „Germania“ 1898 ihr 35-jähriges Stiftungsfest feierte, wurde eine neue Fahne angeschafft.
Preis: ein Trinkhorn
Ab 1906 stellten sich unter der Leitung von Johannes Vomend erste beachtliche Erfolge unter anderem bei Gesangswettstreiten ein. Noch heute ist ein Preis vorhanden: ein schönes Trinkhorn. Die Dirigentenprobleme lösten sich 1910 endgültig, als Konrad Nicolai den Dirigentenstab übernahm.
Das Fest zum 50-jährigen Bestehen wurde 1913 in großem Stil begangen. Der Chronist Wilhelm Größer jun. schrieb: „Begünstigt vom schönen Wetter nahm das Jubiläumsfest einen in jeder Hinsicht befriedigenden und würdigen Verlauf. Wir Sänger können mit Stolz auf diese Tage zurückblicken. Aber auch getrost sehen wir in die Zukunft und geloben, rüstig weiter zu arbeiten an der Pflege des deutschen Liedes, getreu unserem Wahlspruch: ,Vorwärts immer, rückwärts nimmer!'“
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts entstanden Arbeitergesangvereine mit dem Vereinsnamen „Eintracht“ im Busecker Tal, die sich beim Jubiläumsfest der „Germania“ am Ende des Festzugs einreihen durften. Sie wurden gerade so geduldet. In einem kleinen Protokollheft sind die Aufzeichnungen über den Großen-Busecker Arbeitergesangverein für die Jahre 1922 bis 1934 vorhanden. 1923 war Karl Pfeiffer Vorsitzender und Karl Becker Rechner. 1934 wurde der Verein wie auch alle anderen Arbeitergesangvereine durch die Nazis zwangsaufgelöst. Die 1945 noch lebenden Sänger fanden ihre gesangliche Heimat bei der „Germania“, der sich seitdem Sängervereinigung Eintracht-Germania nennt.
Nach mehreren Wechseln übernahm Rudolf Nicolai aus Großen-Buseck 1936 das Amt des Dirigenten, das er bis 1980 ausübte. 1937 bei einem Wertungssingen in Großen-Buseck gab es für die zwei Liedvorträge eine ausgezeichnete Kritik: „Verein und Chorleiter sind für diese ausgeprägte eindringliche und wohlgeordnete abgerundete Leistung sehr zu loben.“
Während der beiden Weltkriege stand das Vereinsleben still. Am 6. Oktober 1946 gestaltete die Sängervereinigung gemeinsam mit einem Orchester ein für die damalige trostlose Nachkriegszeit ein außergewöhnlich beeindruckendes Konzert. Bis Anfang der 60er Jahre erlebte die Sängervereinigung eine ungeahnte Blütezeit, bot sie doch eine der ganz wenigen Möglichkeiten, Geselligkeit zu erleben: Bunte Abende, Familienabende mit Theateraufführungen, Sketchen, Gesangseinlagen, Chorvorträgen, Sängertreffen, Wertungssingen und Maskenbälle sorgten für reichlich Abwechslung.
Höhepunkt jener Zeit war zweifelsohne die Teilnahme am Bundesleistungssingen 1953 in Kassel, wo man nur einen halben Punkt hinter dem Sieger landete. 1963 feierte der Verein sein 100-jähriges Bestehen. Der nur für diesen Anlass gegründete Frauenchor besteht heute noch. 1965 war der Hessische Rundfunk in Großen-Buseck zu Gast und nahm Lieder des Männer- und des Frauenchores für die Hörfunksendung „Hessische Chöre singen“ auf. Rudolf Nicolai zog sich 1980 nach 44-jähriger Chorleitertätigkeit bei der Sängervereinigung aufs Altenteil zurück und wurde zum Ehrenchorleiter ernannt. 1986 wurde Sänger Heinrich Harbach besonders geehrt. Er sang seit 65 Jahren und wurde für 53 Jahre Einsatz zum Ehren-Vizechorleiter ernannt.
Seit den 80er Jahren unternahm der Verein zahlreiche Mehrtagesfahrten, unter anderem nach Ungarn, in die damalige Tschechoslowakei, nach Polen, Italien und Belgien. Bis 2007 wurden Wertungssingen besucht. Die Sängervereinigung nimmt regelmäßig am Busecker Liederabend teil und organisiert eigene gesellige Termine, zum Beispiel ab 2007 das „Winterglühen“. Eine ganz besondere Leistung war 1991 zu verzeichnen: Walter Weber hatte von 1982 bis 1991 alle Singstunden besucht.
Eine tolle Überraschung bescherte der Chor 2003 seinem langjährigen Sänger Heinrich Kimmel und dessen Ehefrau Elfriede zur goldenen Hochzeit. Der Chor war nach Molln gefahren, um bei der Feier anlässlich „25 Jahre Markterhebung“ mitzuwirken. Das Ständchen trugen die Busecker, unterstützt vom Männergesangverein Molln, dem Jubelpaar per Telefon und Lautsprecher vor.
Zum 140. Geburtstag gab es ein Konzert in der evangelischen Kirche. Dieses ging als ein würdevoller Glanzpunkt in die Geschichte des Vereins ein und wurde auch auf CD festgehalten.
Im gleichen Jahr übernahm Renate Schygulla die Leitung der Chöre.
Die allgemeine demografische Entwicklung sowie Änderungen im Freizeitverhalten führten trotz aller Bemühungen um neue Mitglieder zu sinkenden Zahlen. Zählte der Männerchor 1990 noch 140 Mitglieder, so sind es heute noch 80, davon 24 Sänger. Zwei Drittel der Sänger sind Bässe. Die Anforderungen an die verbliebenen Tenöre sind dadurch deutlich gestiegen. Nur durch deren regelmäßigen Singstundenbesuch kann die Singfähigkeit des Männerchors bei vierstimmigen Liedern aufrechterhalten werden.
Ehrenmitglieder sind aktuell Heinrich Kimmel, Karl Franz, Alfred Zecher, Willi Henß, Robert Müller und Helmut Pfeiffer. Sie singen über 60 Jahre im Chor. Vorsitzender ist seit 2003 Frank Steinmüller.
Bürgermeister gab Anstoß
Der Frauenchor firmiert unter dem Dach der Sängervereinigung als eigenständiger Chor mit eigenem Vorstand. Den Anstoß zur Gründung des Chors gab im Sommer 1962 der damalige Vorsitzende des Männerchors, Bürgermeister Georg Diehl, der aus Anlass des bevorstehenden 100-jährigen Bestehens des Männerchors das Festkonzert und den Kommersabend um Frauenstimmen bereichern wollte.
Und so trafen sich am 14. Oktober 1962 Frauen und Mädchen mit Georg Diehl und Chorleiter Rudolf Nicolai in der Gaststätte Brück. Das war die Geburtsstunde des Frauenchors. 44 Sängerinnen, von denen heute noch sieben singen, nahmen an der ersten Chorprobe am 1. November 1962 in der Gastwirtschaft Gerlach teil. Beim Jubiläumskonzert am 23. März 1963 bestand der Frauenchor mit „Heidschi bumbeitschi“ und „Ei wohl ein schöne Zeit…“ seine Feuerprobe. Als dann zum Abschluss zusammen mit dem Männerchor mit über 100 Stimmen das „Heimatlied“ und „Die Spröde“ erklangen, war die Vielzahl der Übungsstunden vergessen. Für den Frauenchor war dieser erste Auftritt ein großes Erlebnis. Die Freude am Singen, die erfolgreichen Auftritte im Jubiläumsjahr des Männerchors, aber auch die geselligen Veranstaltungen gaben schließlich den Ausschlag und führten zu dem Versprechen der Aktiven, in diesem Sinne weiterzumachen.
Heute verfügt der Frauenchor über ein beachtliches Repertoire und ist sowohl bei familiären Anlässen als auch Veranstaltungen stets ein gern gesehener Interpret deutschen Liedgutes. Mit viel Geschick und Umsicht leitete Lotti Köhl als Vorsitzende bis 2000 den Frauenchor. Ihr folgte Margot Jany-Milicevic.
Im Jubiläumsjahr hat der Frauenchor 84 Mitglieder, davon 34 Sängerinnen. Heute noch aktive Gründerinnen sind Luise Franz, Lotti Köhl, Irene Köhl, Inge Kratz, Christa Kraushaar, Herta Stephan und Marianne Hof. Inzwischen passive Mitglieder sind die Gründerinnen Irene Butteron, Emmi Fink, Margot Junker, Herta Pfeiffer, Inge Zecher, Paula Horn, Erna Pfeiffer, Waltraud Stein, Anneliese Seipp, Anni Heider und Inge Bellmann.
Fotos:
Oben:
Männer- und Frauenchor der Sängervereinigung Eintracht-Germania begrüßten unter Leitung von Renate Schygulla die Delegierten bei der Hauptversammlung des Sängerkreises Gießen. Foto: R. Schmidt
Mitte:
Im Jahre 1928 entstand dieses Foto vom Arbeitergesangverein Eintracht, der 1934 von den Nazis zwangsaufgelöst wurde. Nach dem Zweiten Weltkrieg fanden die überlebenden Mitglieder eine neue Heimat beim Gesangverein Germania, der seinen Namen in Sängervereinigung Eintracht-Germania änderte. Foto: red
Unten:
Beim Jubiläumskonzert des Männerchores 1963 feierte der Frauenchor seine Premiere. Inzwischen ist er ein eigenständiger Chor mit eigenem Vorstand unter dem Dach der Sängervereinigung. Foto: red
VEREINSDATEN – AUF EINEN BLICK
Verein
Sängervereinigung Eintracht-Germania Großen-Buseck
Gründung
1863
Kontakt
Frank Steinmüller (Männerchor),
Margot Jany-Milicevic (Frauenchor)
Termine
15. und 16. Juni Festwochenende